Am Abend vor der Weiterfahrt in Richtung Marrakesch steige ich nochmal auf eine Sanddüne hinter dem Dorf. Es scheint einen eindrucksvollen Sonnenuntergang zu geben. Auf halbem Weg nach oben ziehen aber Wolken auf. Egal, ich bin ganz alleine dort, gucke nach Osten in das Wüstengebiet und sitze glücklich und zufrieden im Sand.

Wir kehren zurück in unseren Kleinbus und erkunden die angrenzenden Regionen in Richtung Marrakesch.
Erste Station auf der Route ist die Kleinstadt Rissani. Wir besuchen den Souk Markt. Der Souk Markt hier ist ein großes Einkaufszentrum, in dem Sinne, dass alles zu haben ist. Lebensmittel, Klamotten, Schuhe, Tiere, handgemachte Gebrauchsgegenstände wie z.B. Holzlöffel, Geschmiedetes: die Werkstatt ist direkt vor Ort,… Viele Stände sind vollgepackt bis obenhin. Auffällig ist, dass viele Fahrradfahrer:innen hier in der Stadt unterwegs sind und auch an vielen Ständen haben die Händler ihre Bikes, mit denen sie wohl zur Arbeit kommen, abgestellt.
Rings um Rissani sind die Felder und Dattelpalmen wieder schwer gezeichnet vom Wassermangel – ein trostloser Anblick.











Etwas später machen wir einen kurzen Zwischenstopp, um ein altes Kanalsystem anzuschauen. Man könnte auch von einem unterirdischen Wasserleitungssystem sprechen, das aber heute kein Wasser mehr führt. Wir bekommen eine Vorstellung davon wie die Leute (Sklaven) früher in viel schwerer Handarbeit Stollen gebuddelt haben, um das Wasser aus den niederschlagsreichen Bergregionen in die davon weit entfernten Ebenen zu bekommen.
Beim nächsten Halt kauft Youssef für ein Picknick ein. Ich gehe Kaffe- und Teetrinken mit einigen Leuten aus unserer Gruppe. Das Café liegt an der Hauptstraße des Ortes und gerade ist Schulschluss. In kleinen Gruppen strömen die Schüler:innen vorbei, viele auch auf Fahrrädern. Ein Mädchen ruft uns auf französisch „Herzlich willkommen in Marokko“ zu. Wir freuen uns wie Bolle und könnten dem Treiben stundenlang zuschauen.
Auf der Weiterfahrt sehen wir viel Plastikmüll am Straßenrand, auch der kurze Weg zu unserem Picknickplatz in den frisch geernteten Feldern einer Oase ist vermüllt. Kurz nachdem wir mit unserem Picknick gestartet haben kommen drei Frauen vorbei. Sie binden die bereits geerntete und etwas getrocknete Alfalfa zu kleinen Büscheln. Youssef hilft mit, schäkert mit den Frauen und übersetzt für uns. Sie wirken zufrieden mit dieser für uns doch sehr einfachen, harten und ursprünglichen Arbeit.












Es geht weiter im Programm mit der Todrhaschlucht, die in den Hohen Atlas hineinführt. Es handelt sich um steil abfallende, rötliche Felswände. Wir steigen auf der gut asphaltierten Straße aus und gehen ein Stück entlang, vorbei an zahlreichen Händlern. Es ist auch ein Paradies für Kletter:innen, Youssef zeigt uns die Haken im Fels. Auf der Fahrt in die Dadesschlucht sehen wir etliche schöne Kasbahs, die teils noch als Speicherburgen genutzt werden.
Auf einer Wanderung in der Dadesschlucht sehen wir terrassierte Felder in frischem Grün, durchzogen von Bäumen, bizarre Erosionsformen und Kashbakomplexe. Immer wieder sehen wir Frauen, die Grünzeug schneiden. Dann wandern wir noch in eine kleine abzweigende Schlucht hinein.
Mittagspause machen wir in El Kelaa des Mgouna, einer Kleinstadt am Rande des Rosentals. Hier dreht sich alles um die „Rose“. Es handelt sich um Heckenrosen, die gepflanzt werden, um Rosenöl herzustellen. Jetzt im April blühen die Rosen, allerdings sehen wir einige Plantagen erst als wir wieder aufs Land kommen aus dem Bus heraus. Die Blüten werden aber immer in den frühen Morgenstunden abgeerntet und so sind nur wenige Blüten zu entdecken. Ich erkundige mich in einem Laden nach den vorhandenen Rosenprodukten und bekomme sofort wohlriechendes Rosenwasser ins Gesicht gesprüht. Ich habe noch lange etwas davon. Ansonsten tauchen wir ein in das geschäftige Treiben der Kleinstadt und schlendern durchs Zentrum. Ganz im Sinne der Rosenblüten gibt es hier übrigens einzigartige rosafarbene Taxis. Das eigentliche Rosental lassen wir rechts liegen.

















Als Nächstes sehen wir uns die Kasbah Amridil an, die zum nationalen Erbe zählt. Eine Kasbah ist eine historische, aus Stempflehm und Lehmziegel erbaute Festungsanlage. Kasbahs waren früher auch Fluchtburg, Herrensitz, Gemeinschaftsspeicher, Sippenwohnung und Clanmachtzentrum in einem. Hier gruppieren sich um einen mehrstöckigen Zentralbau vier hohe Ecktürme. Die Gebäude sind beeindruckend und alles ist aus vor Ort vorkommenden Naturmaterialien (Lehm, Palmstämmen, Schilf- und Palmmatten) erbaut. Leider ist das Baumaterial äußerst witterungsanfällig.


Wir übernachten zu Füßen einer Filmkulisse. Filme oder Serien wie Gladiator, Lawrence von Arabien, Game of Thrones, etc. wurden hier in und um diese Kasbah gedreht. Außerdem zählt der gesamte Komplex zum UNESCO Weltkulturerbe. Die Kasbah heißt Ait Benhaddou und ist wohl die imponierendste. Auf einem Hügel sind sechs Kasbahs zu einer berberischen Wohnburg verschmolzen. Es ist ein wunderschönes, originales Lehmdorf.
Am Abend schlender ich noch durch die Gassen der „Neustadt“, die auf der anderen Seite des Flussbetts entstanden sind. Hier wohnen jetzt die ehemaligen Bewohner:innen der Wohnburg. Nur noch einige wenige Familien leben im alten Komplex. In beiden Bereichen bieten Händler (hier und vorher auch noch nie gibt es Händlerinnen!) Klamotten, Schmuck, Getöpfertes, Körbe/Taschen aus Palmblättern und Schnickschnack an. Ein Händler läuft mir hinterher, er hat meine Birkenstock-Schlappen gesehen, benennt die Marke und weiß, dass sie aus Deutschland kommen. Er will sie eintauschen gegen Ware aus seinem Geschäft. Er schätzt, dass ich Schuhgröße 39 habe – aber auf so großem Fuß lebe ich nicht. Größe 37 würde ihm auch passen – „egal“, sagt er. Er bleibt vehement, es ist lustig. Ich gehe in seinen Laden, dort zeigt er mir das goldene Lesezeichen, das er mir für die Schlappen geben will. Natürlich geht das noch ne Zeit weiter. Ich bleibe aber hartnäckig und ziehe irgendwann mit meinen Birkis von Dannen. Etwas weiter entfernt werde ich bei einem Künstler fündig. Er zeichnet mit Safran, Zitrone, grünem Tee und etwas Indigofarbe Wüstenmotive. Auf dem Papier ist nur das Blau zu erkennen. Er demonstriert mir die Fertigstellung. Dabei hält er das Papier über eine Gasflamme und Hokuspokus schon erscheinen Dünen und Kamele in Gelb- und Brauntönen. Ist das nicht die vergleichbare Technik, in der wir früher mit Zitronensaft geheime Botschaften verfasst haben? Mir gefallen die Werke und ich nehme in Postkartengröße eines als Erinnerung mit.
Am Morgen nach einem Frühstück mit einem sagenhaften Blick auf die Kasbah erkunden wir sie mit einem lokalen Guide. Über das Alter der Wohnburg ist man sich uneinig, die Spanne reicht vom 12. bis zum 16. Jahrhundert. Leider sind im Herbst 2023 bei einem Erdbeben Mauern beschädigt worden. Wir kurbeln uns nach oben bis zum höchsten Punkt, dem ehemaligen Getreidespeicher. Er ist zerstört. Aber die Aussicht ist genial: karge Steinwüstenlandschaft in mehrere Richtungen, teilweise durchzogen von Oasen und im Hintergrund imposante Bergmassive. Der höchste Berg Marokkos, der Toubkal, 4167 m hoch, ist zu sehen. Gerade hat er noch ein Schneehäubchen.










Auf der Fahrt nach Marrakesch überwinden wir eines der Bergmassive. Wir fahren über mehrere Pässe im Hohen Atlas. Der höchste ist der Tizi n‘Ticka Pass mit 2260 m Höhe. Die Straße ist kurvenreich aber unglaublich gut ausgebaut. Die Ausblicke sind super.


In Marrakesch übernachte ich in der Altstadt in einem lieblich gestalteten Riad, zwei Ecken entfernt vom Riad meiner Mitreisenden. Herrlich, wie abgeschirmt vom Trubel wir hier unterkommen. Ein Kleinod mit offenen Innenhöfen, Pflanzen und Wasserbecken für ein angenehmes Klima. Ich werde vornehm empfangen und fühle mich gleich wohl. Mit einem Teil der Mitreisenden schlendere ich durch Marrakesch. Es ist strubbelig aber trotzdem entspannt für mich. Niemand regt sich auf, wenn man in den belebten Gassen im Weg steht. Später streife ich noch alleine herum und kann die aufdringlichen Händler mit einem flotten Schritt und abgewendetem Blick gut abschütteln.
Am zweiten Tag in Marrakesch führt uns eine Frau durch diese Königsstadt. Das freut uns! Ich erhoffe mir dadurch einen differenzierteren Blick auf die Geschichte und den gegenwärtigen Alltag. Marrakesch ist aufgrund der quirligen Souks, der Lage in einer Palmenoase, der roten Lehmmauern, … das beliebteste Touristenziel unter den Königsstädten in Marokko. Unsere „Guidin“ Mariam“, die einzige deutschsprechende Frau unter den Stadtfüher:innen von Marrakesch, zeigt uns zuerst den Palais de la Bahia. Es ist jede Menge los, die Eingangsschlange am Ticketverkauf ist bestimmt 100 m lang. Wir müssen nur kurz warten. In das Innere haben es aber vor uns auch schon viele Menschen geschafft. Unsere Mariam hat zu tun, dass ihr niemand verloren geht. Der Palast wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im andalusisch-maurischen Stil errichtet. Der Komplex mit mehreren Gebäuden und Gärten besitzt reich geschmückte Innenräume. Mariam erzählt uns einiges vom alltäglichen Leben aus der damaligen Zeit. Beispielsweise lebte bis 1900 der Großwesir (das ist ein vom Sultan eingesetzter Regierungschef) Bou Ahmed mit seinem Harem hier: vier Frauen und bis zu 80 Konkubinen.
Nach einer Kaffeepause schlendern wir vorbei am jüdischen Viertel. Wir passieren einige Stände, die ins Auge stechen. Gewürze und Pflanzenfarben werden in kunstvoll aufgetürmten Arrangements angeboten. Wie können diese Konstrukte halten und diese kräftigen Farben können doch nicht rein natürlich sein? Wir bahnen uns unseren Weg durch Souks und kommen zur einst größten Koranschule Marokkos, der Medersa Ben Youssouf. Sie wurde 1565 errichtet und befindet sich in einem best renovierten Zustand. Heute ist sie nur noch Museum. Neben den unheimlich reich verzierten Unterrichtsräumen können wir auch die Studierendenzimmer anschauen. Sie wirken auf uns mini und erinnern eher an kleine Mönchszellen. Manche der Zimmerchen waren sogar Durchgangszimmer und wurden von mehreren Studis bewohnt.
Durch weitere Souks hindurch schlendernd endet unsere Führung am Gauklerplatz, Djemaa El Fna im Herzen der Altstadt. Jetzt tagsüber ist er unserem Anschein nach schon sehr belebt, das „richtige“ Treiben beginnt wohl aber erst am Abend. Mir fallen Schlangenbeschwörer und Affendresseure auf. Frauen bieten Hennatatoos an. Es gibt unzählige Essensstände, an den Rändern Souvenirgeschäfte, Cafés und Restaurants.
Mit einem Mitreisenden sauge ich noch ein bisschen die gechillte Hektik auf. Dann erwartet mich im Riad eine Reinigungszeremonie im Hamam. Schon länger interessiert mich, was sich dort hinter den Kulissen abspielt. Am liebsten wäre ich in ein öffentliches Hamam gegangen aber der straffe Zeitplan macht das Organisieren schwierig. Also nehme ich die Tourivariante. Ich werde von der Hamam-Bademeisterin Mayla empfangen und individuell betreut. Der kleine Raum hat eine große Liegebank aus einem Stein, der beheizt wird. Auf den setze ich mich, später geht es liegend weiter. Ich werde mit etwas englisch angeleitet, die hauptsächliche Kommunikation läuft aber mit Händen und Füßen ab. Ungefähr eine halbe Stunde lang werde ich mit schwarzer Olivenpaste eingeseift, geschrubbt, abgeduscht, einbalsamiert (mal mit Tonerde, mal mit Kaffeesatz, Arganöl ist bestimmt auch dabei, fehlt nur noch die Kamelmilch) und bekomme die Haare gewaschen und gepflegt. So sauber habe ich mich lange nicht gefühlt und Haut und Haar fühlen sich samtig weich an.










































Die Reise nähert sich dem Ende. Wir treffen uns mit Youssef zum letzten gemeinsamen Abendessen und blicken zurück auf eine intensive, erlebnisreiche von Wetterkapriolen gezeichnete, unvergessliche Reise.
Der Flieger bringt uns sicher nach Frankfurt zurück, von dort aus zerstreut sich unsere Gruppe in alle Himmelsrichtungen.
Ich bin sehr glücklich über die Eindrücke auf dieser Reise. Das liegt zum Großteil an Youssef, unserem Chief, den mitreißenden Mitreisenden und an der Natur, vor allem der Wüste, Kultur und den anderen Marokkaner:innen.
Beim nächsten Mal kommt Christian mit.